Game-Projekt „Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm“: Zwischenbilanz und Ausblick
Die Hälfte des zweijährigen Projektes liegt nun hinter uns und aus der ursprünglichen Idee, Erinnern vermittels des Mediums „Spiel“ als interaktive Erfahrung darzustellen, gibt es inzwischen ein schon ein spielbares erstes Ergebnis, mit dem nicht nur wir als Projekteam schon sehr zufrieden sind, sondern in ersten Testings bei unserem Zielpublikum viel positive Resonanz fand. Ein guter Anlass also, um in einer kurzen Rückschau Einblicke in die Entwicklung zu geben und den Projektstand darzustellen.
Von der Idee zum Spiel
Am Anfang stand die Frage: Wie kann „Erinnern“ gespielt werden? Da uns wichtig war, das Medium Spiel in seinen interaktiven Möglichkeiten auszuschöpfen, wollten wir weder ein typisches Lernspiel entwickeln, bei dem interaktiven Elemente nur als Freischaltung für Lernstoff dienen. Ebenso sollte es kein „Visual Novel“ werden, bei dem der eigentliche Spielverlauf starren linearen Vorgaben folgt und wenig Raum für Flexibilität lässt. Zugleich durften wir nicht „zu“ kreativ sein, insofern das Spiel primär für den Einsatz im Rahmen des Unterrichts einer 7. bis 9. Klasse entwickelt wird. Die Bedienung des Spiels muss leicht fallen und der Spielerfolg realistisch im Rahmen einer doppelten Unterrichtsstunde erreichbar sein.
Daher entschieden wir uns für ein an klassische Adventure-Spiele angelegtes System, bei der Spielfortschritt durch die Lösung von Rätseln erfolgt, die organisch in die Spielwelt eingebettet sind. Die Thematik „Erinnern“ griffen wir dabei interaktiv auf, indem unsere spielbaren Charaktere – fiktive Schülerinnen und Schüler der Schule Bullenhuser Damm Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre – im Spielverlauf in Dialoge mit anderen Charakteren, etwa der eigenen Großmutter, einem Historiker, einem Journalisten usw., geraten, die ihnen ihre eigenen Erinnerungsperspektiven zu bestimmten Thematiken oder Ereignissen mitteilen.
Die Spielenden interagieren mit als interaktive Szenen dargestellten Erinnerungen und sammeln Erinnerungsfragmente, die an bestimmten Stellen im Spiel wieder richtig eingesetzt werden müssen. „Erinnern“ wird im Spiel nicht als ein streng linear, monolithischer Prozess dargestellt sondern als fragmentarisch, sprunghaft, mitunter widersprüchlich und vor allem: subjektiv. Durch diese Darstellungsweise von fünf sehr unterschiedlichen Erfahrungswelten, repräsentiert durch die unterschiedlichen spielbaren Charaktere, zeigen wir im Spiel ganz unterschiedliche Perspektiven auf Erinnerung auf. Um sicherzustellen, dass dies eine glaubhafte und sensible Repräsentation ist, arbeiten wir für jedes Kapitel mit externen Expertinnen und Experten zusammen.
Fokusgruppentests
Mit unserem Projekt bewegen wir uns in methodisch und didaktisch noch vergleichsweise unbekanntem Fahrwasser, weswegen wir nicht auf etablierte Best Practices oder Wirkungsforschung zurückgreifen können. Daher war es für uns zentral, schon früh mit Fokusgruppentests zu beginnen, um sicherzustellen, nicht am Publikum vorbei zu entwickeln.
Dazu besuchten wir sowohl Schulklassen in ihren Unterrichtsräumen oder luden diese in die Gedenkstätte Bullenhuser Damm zu Testings ein, wo sie in einer an den späteren Einsatz angelehnten Struktur die frühen Versionen unseres Spiels testen konnten: In Kleingruppen von zwei bis fünf Schüler*innen entschieden sie sich jeweils für einen Charakter, um diesen in ca. 30 Minuten durchzuspielen.
Dabei machten wir rundum positive Erfahrungen und stießen zugleich darauf, dass wir noch mehr Spielraum haben, um das Medium auszureizen. Die Schüler*innen waren sehr offen und interessiert gegenüber den Spiel und zeigten sich motiviert, die Story ihres jeweiligen spielbaren Charakters zu erkunden. Auch die Neugier auf den historisch-thematischen Hintergrund des Spiels – die namensgebenden am Bullenhuser Damm während der NS-Zeit ermordeten Kinder – wurde bereits in diesen frühen Testversionen geweckt. Zudem wurden etwaige Sorgen einer technischen oder narrativen Überforderung rundum zerstreut. Im Gegenteil zeigte sich, dass wir noch mehr Spielraum für spielmechanisch-interaktive Elemente haben.
Ausblick
Auf dieser äußerst motivierenden Grundlage starten wir ins letzte Halbjahr. Dabei werden wir uns zum einen auf die Fertigstellung des eigentlichen Spiels mit allen fünf Charakteren konzentrieren. Dabei wird das finale Ergänzungs-Element, ein virtueller „Erinnerungsraum“, im Fokus liegen, der als Schnittstelle zwischen der fiktionalisierten Darstellung im Spiel und dem realgeschichtlichen Bullenhuser Damm dienen wird.
Zusätzlich werden wir bis zum Ende des Jahres Unterrichtsmaterialien und Handreichungen für Lehrkräfte entwickeln, um den Einsatz des Games im Unterricht so einfach wie möglich zu gestalten. Neben unserem wissenschaftlichem Beirat mit verschiedensten Expertisten arbeiten wir dazu möglichst eng mit (angehenden) Lehrkräften zusammen und kooperieren unter anderem mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Prof. Dr. Andreas Körber vom Fachbereich Geschichtsdidaktik an der Universität Hamburg
Projektvorstellung auf der Webseite der Alfred Landecker-Stiftung